Pestizide: von Abhängigkeiten, fehlenden Daten und die Bedeutung der EU

Schädlingsbekämpfung mit Nebeneffekten

Vor wahrscheinlich fast jeder Haustür gibt es weniger vielschichtige Vogelgesänge im Frühling, weniger Konzerte der Grillen im Sommer und weniger Farben und Formen der Schmetterlinge. Vorbei sind die Zeiten, in denen man im Sommer Insekten von den Windschutzscheiben abkratzen musste. Heute kaufen schon viele LandwirtInnen Hummel-Bestäubungskästen, und es werden Maschinen entwickelt, um Heidelbeeren oder Avocados maschinell zu bestäuben1. Doch das verschwindende Leben verursacht Probleme, die kurzfristige Lösungen übersteigen. Um dem Artenverlust entgegenzuwirken müssen wir die Ursachen kennen – einer dieser sind Pestizide.

Denn Produkte, die LandwirtInnen zum Schutz ihrer Ernten verwenden, haben Konsequenzen, die weit über die Schädlingsbekämpfung hinausreichen. Sie betreffen die Gesundheit von Ökosystemen: vom stillen, dramatischen Artensterben, über die Gewässerqualität bis hin zur menschlichen Gesundheit. Trotz Prüfung vor Markteinführung werden oft erst nach längerem Gebrauch schädliche Folgen für aquatische und terrestrische Ökosysteme festgestellt. Infolgedessen wurde die Zulassung vieler Pestizide rückwirkend zurückgezogen. Das bekannteste Beispiel ist wahrscheinlich das Insektizid DDT (Dichlordiphenyltrichlorethan). 1962 lenkte Rachel Carsons Buch „Der stumme Frühling“ die Aufmerksamkeit auf die verheerenden Auswirkungen des Insektizids auf Vogelpopulationen, insbesondere das Ausdünnen ihrer Eierschalen. Selbst heute werden Pestizide regelmäßig vom Markt genommen oder ihre Lizenzen werden nicht verlängert, wenn neue Studien Umweltschäden nachweisen oder neue, gezielt wirkende Produkte entwickelt werden. Wenn ein Pestizid verboten wird, folgen neue Generationen von Wirkstoffen, die weniger schädlich sein sollen, sofern sie in empfohlenen Mengen angewendet werden. Für eine Marktzulassung wird jeder aktive Wirkstoff auf unbeabsichtigte Umweltschäden getestet. Doch wie zuverlässig sind diese Tests? Welche Rolle spielen unsere Regierungen in diesem Prozess?

Aber Schritt für Schritt. Wovon spreche ich hier überhaupt? Pestizide sind Produkte, die entwickelt wurden, um unerwünschtes Leben zu bekämpfen, sei es durch Insektizide, die Insekten im Schach halten (und meist negativ beeinträchtigen), durch Fungizide, die Pilze plattmachen oder durch Herbizide, die „Unkräuter“ unterdrücken. Die Gänsefüße verwende ich, da es mir schwerfällt den Begriff „Unkraut“ zu verwenden – als hätten nur Pflanzen, die einen menschlichen Nutzen erfüllen, das Recht zu existieren, während „Unkräuter“ das Pflanzensein aberkannt wird. Aber zurück zu den Pestiziden. Diese werden hauptsächlich in der Landwirtschaft verwendet, seltener auch in Haushalten oder der städtischen Landschaftspflege, z.B. an Straßenrändern oder von der Bahn zur Freilegung der Schienen. Allerdings hat die Deutsche Bahn seit 2023 den Einsatz von Glyphosat eingestellt – noch fünf Jahre zuvor wurden 60 Tonnen verwendet2.

Über Pestizide zu sprechen, bedeutet auch, über landwirtschaftliche Anbaumethoden zu sprechen, denn Pestizide sind ein Schatten riesiger Monokulturen. Während ein Feld mit vielen unterschiedlichen Kulturen auch viele unterschiedliche Organismen beherbergt, die dazu beitragen, das Ökosystem im Gleichgewicht zu halten, sieht das in Monokulturen anders aus. Wenn nur eine oder wenige Kulturen große Flächen Land bedecken, können sich Schädlinge leicht vermehren. Es gibt nur wenig Fressfeinde und eine nahezu unbegrenzte Nahrungsversorgung für Organismen, die genau diese eine Kultur auf dem Speiseplan weit oben haben (z.B. der Maiszünsler). Hier sind Pestizide dann die Notfalllösung, um die Ernte zu retten.

Dennoch schießt die Wirkung der Pestizide oft über ihr Ziel hinaus. Unterschiedliche Lebewesen sind in einem komplexen Nahrungsnetz miteinander verstrickt. Wenn bestimmte Zielorganismen geschädigt werden, hat dies oft weitreichende Folgen auf viele andere Nicht-Zielorganismen. Zum Beispiel kann ein Pestizid für andere Organismen die Nahrungsquelle oder aber die Fressfeinde töten – in letzterem Fall werden sich diese Organismen wahrscheinlich schnell vermehren und zur nächsten Herausforderung für LandwirtInnen werden. Auch funktionieren Abläufe des Lebens über Organismen hinweg sehr ähnlich, was dazu führt, dass Pestizide oft Nicht-Zielorganismen schaden. Verschiedene Studien haben schädliche Auswirkungen von Pestiziden auf Insekten3,4 wie Bienen5, 6 aber auch auf Vögel7 und Menschen gefunden, wobei ein erhöhter Pestizidkontakt mit einem erhöhten Risiko für Alzheimer, Parkinson8, Multiple Sklerose und Suizid korrelierte9. Die Ergebnisse einer deutschen Insektenstudie aus dem Jahr 2017 fanden einen Rückgang der Insektenpopulationen um 75% in Naturschutzzonen.10 Dieser Rückgang lässt nur ahnen, wie viel geringer die Vielfalt erst auf Monokultur-Feldern ist.

Das Problem ist, dass Pestizide nicht auf den Feldern bleiben, auf denen sie aufgetragen wurden – sie wandern bis zur Antarktis11. Während fliegende Insekten und Vögel relativ mobil sind und bessere Chancen haben, vor Bedrohungen zu fliehen – trifft dies bei den meisten Bodenlebewesen weniger zu. Viele Bodenorganismen sind winzig und wenig mobil, was sie anfälliger für Schäden macht. Allerdings ist die Wissenschaft erst dabei zu verstehen, wie das Bodenleben auf Pestizide reagiert. Das limitierte Wissen ist hauptsächlich eine Konsequenz fehlender Pestiziddaten. Doch warum sollte uns das alarmieren?

Ich schreibe hier über die Bedeutung der Bodenorganismen, wie sie auf Pestizide reagieren, Mängel im aktuellen Prozess der Pestizidzulassung, Pestizide im globalen Handel, die Rolle der Landwirte und die Bedeutung unserer kollektiven Stimme. Die EU-Wahlen stehen bevor. So wichtig die EU für Umweltpolitik ist, so sehr ist diese mit einem Anstieg der rechten Mächte in einer Krise. Aber zunächst einmal: warum ist die Bodenbiodiversität wichtig? Und wie beeinflussen Pestizide das Leben im Boden?

Die Auswirkungen von Pestiziden auf das Bodenleben und warum das Bodenleben wichtig ist

Böden sind unglaublich reich an Leben und beherbergen bis zu 60% der Biodiversität der Erde12. Die Bodenbiodiversität ist für den Anbau unserer Nahrungsmittel entscheidend, sie hilft bei der Filterung und Speicherung von Wasser, verhindert Erosion und Überschwemmungen und kontrolliert Schädlinge. Pestizide können die Bodengemeinschaft schaden und wichtige Funktionen beeinträchtigen, sodass z.B. wichtige Funktionen wie die Umwandlung von Stickstoff und Kohlenstoff gestört werden13. Durch fehlende Symbiosen sind Pflanzen u.a. dann sogar anfälliger für Krankheiten, indem ihre Abwehrkräfte geschwächt werden. Dies kann weitreichende Folgen haben, denn Pflanzen stehen ohne Symbiosen weniger Nährstoffe und Immunschutz zur Verfügung. In dieser Hinsicht ist es sehr irreführend, dass viele Pestizide als Pflanzenschutzmittel bezeichnet werden. Auch wenn Fressfeinde geschädigt werden, geschieht dies auf Kosten der pflanzlichen Gesundheit (und ggf. auch der kommenden Pflanzengenerationen, da das Bodenleben geschwächt ist), was oft jedoch ausgeblendet wird. Außerdem können sich in Böden mit Pestiziden, Antibiotika-resistente Gene schneller verbreiten, was zu einer unserer größten aufkommenden Herausforderungen zählt14.

In verschiedenen Studien haben Forscher die direkten und indirekten Auswirkungen von Pestiziden auf Bodenorganismen aufgedeckt: Zum Beispiel können Pestizide sich in Regenwürmern15 und kleineren Bodentieren16 ansammeln. Eine umfassende Analyse von Regenwurmstudien in ganz Europa ergab, dass Pestizide wichtige Enzyme, Wachstum und Fortpflanzung von Regenwürmern stören können, was ihre Gesamtbiomasse verringert17. Besonders besorgniserregend sind die akuten toxischen Auswirkungen, die beobachtet wurden, wenn Pestizide mit Schwermetallen wie Kupfer kombiniert werden18. Kupfer wird vor allem in Weinbergen häufig verwendet. Darüber hinaus wurde festgestellt, dass Pestizide besonders schädlich für die Bodenfauna sind, wenn mehrere Produkte aufeinandertreffen – entweder weil sie in Cocktails verwendet wurden oder sich im Boden ansammeln. Die Studie stellte auch fest, dass selbst bei empfohlenen Dosierungen, Insektizide und Breitspektrumpestizide den Bodenorganismen erheblich schaden.19 .

Allerdings untersuchen bisher nicht viele Studien, wie Pestizide das komplexe Netzwerk des Lebens im Boden beeinflussen, insbesondere wenn mehrere Pestizide gemeinsam oder unter Feldbedingungen verwendet werden. Dies ist eine große Wissenslücke, da die Auswirkungen von Pestiziden für verschiedene Bodenorganismen variieren können.

Gemeinsam mit einem Team aus Toxikologen, Ökologen und Bodenwissenschaftlern haben wir versucht, einige dieser Wissenslücken zu schließen. In über 300 Standorte in Europa haben wir bewertet, wie Pestizide die Bodenbiodiversität in verschiedenen Ökosystemen (Agrarflächen, Wiesen und Wälder) unter unterschiedlichen Umweltbedingungen beeinflussen. Dies war eine explorative Studie, was bedeutet, dass wir anstelle von Experimenten in kontrollierten Bedingungen in Gewächshäusern, Felddaten gesammelt haben. Aus diesen haben wir Pestizidrückstände und das Bodenleben mit DNA-Analysen bestimmt und miteinander in Bezug gesetzt. Derzeit ist der Artikel noch nicht veröffentlicht, aber sobald dies der Fall ist, werden hier weitere Details folgen.

Lücken in der europäischen Pestizidrichtlinie

Für die Arbeit bin ich tiefer in die europäischen Pestizidvorschriften eingetaucht und habe mir angeschaut, wie derzeitige Gesetzgebungen Bodenorganismen schützen. Die EU spielt eine wichtige Rolle, denn alle aktiven Substanzen in Pestiziden müssen hier einen Zulassungsprozess durchlaufen. Dazu legen EU-Richtlinien Grenzwerte für Gefahr und Toxizität fest, die jede aktive Substanz erfüllen muss, um für den kommerziellen Einsatz auf dem europäischen Markt zugelassen zu werden. Die Europäische Pestizidrichtlinie gilt als die strengste im globalen Vergleich. Zum Beispiel waren im Jahr 2019 25% der in den USA verwendeten landwirtschaftlichen Pestizide in der EU verboten.20 

Dennoch werden alle 230 aktiven Pestizidsubstanzen (synthetisch, für den Freilandgebrauch) derzeit in der EU in bestimmten Konzentrationen als gefährlich für Menschen und/oder Ökosysteme angesehen. Darunter sind sogar 124 als Top-Gefahrstoffe gelistet. Entsprechend werden Zweifel an der Wirksamkeit der EU-Regulierung laut. Mehrere Studien wiesen auf Schlupflöcher hin und fanden Lücken im Zulassungsprozess für Pestizide. Das derzeitige Testprotokoll sieht vor, dass Pestizid-Hersteller die Toxizität ihrer Produkte bewerten, was als Interessenkonflikt gesehen wird.21 Außerdem berücksichtigen diese Tests nur wenige Organismen als Indikatoren für das gesamte Bodenleben. Diese Hochrechnung blendet allerdings komplexe Interaktionen der Nahrungskette aus. Darüber hinaus werden gegenwärtig nur einzelne Pestizide getestet, obwohl sich die Wirkung von Pestiziden ändern kann, wenn sie in Mischungen verwendet werden. Studien über Pestizidrückstände in Lebensmitteln22 aber auch Bodenanalysen23 haben an vielen der untersuchten Produkte/Standorte, Pestizidmischungen nachgewiesen.  Als weiterer Kritikpunkt am Testverfahren wird kritisiert, dass gegenwärtig nur landwirtschaftliche Böden getestet werden. Dies führt zu einer Verzerrung, da die verwendeten Pestizide auch in umliegende Ökosysteme gelangen und sich dort abweichende chemische Bedingungen auch abweichend verhalten. Auch werden derzeit nur wenige Umweltvariablen getestet, was problematisch ist, da die Wirkung eines Pestizids stark vom Boden (z. B. pH-Wert) und vom Klima (wenn es vor einem Regenschauer angewendet wird, ist die Auswaschung in nahegelegene Umgebungen wahrscheinlicher) abhängt. Außerdem wurde die willkürliche Festlegung von Höchstgehalten für vermarktete Produkte kritisiert ohne diese ausreichend zu testen.

Fehlende Pestizid-Daten

Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) bewertet Pestizidrückstände in Lebensmitteln, während die Mitgliedstaaten Rückstände im Trinkwasser überwachen. Die Überwachungspraktiken und die Berichterstattung der Ergebnisse sind jedoch nicht standardisiert. Wichtig ist, dass die Auswirkungen von Pestiziden über Lebensmittel und Wasser hinausgehen und auch wichtige Reservoirs wie Böden und Sedimente beeinflussen. Im Boden hängt das Schicksal von Pestiziden von verschiedenen Faktoren ab, darunter ihre chemischen Eigenschaften, landwirtschaftliche Praktiken und Umweltbedingungen. Um die Auswirkungen von Pestiziden auf Böden und andere Ökosysteme zu bewerten, sind mehr Daten erforderlich. Bis heute wird die Anwendung von Pestiziden in der EU jedoch nicht systematisch erfasst. Dadurch bleiben wichtige Informationen wie Dosierung, Zeitpunkt und Ort der Anwendung nicht verfügbar.

Die einzigen verfügbaren Daten sind freiwillige Meldungen und Statistiken über den Verkauf von Pestiziden. Viele Wissenschaftler haben Bedenken hinsichtlich der übersehenen Umweltrisiken im Zusammenhang mit der Anwendung von Pestiziden geäußert24. In der aktuellen Situation können schädliche Auswirkungen auf Ökosysteme möglicherweise erst Jahrzehnte nach ihrer Marktzulassung entdeckt werden, was zu einem verzögertem Entzug der Marktlizenz führt.

Die Rolle der LandwirtInnen

LandwirtInnen sind besonders Pestiziden ausgesetzt und dadurch anfällig für Pestizidvergiftungen, insbesondere wenn diese Chemikalien unsachgemäß verwendet werden, zum Beispiel ohne angemessene Schutzmaßnahmen, in falschen Mengen oder zur falschen Zeit verwendet werden. Viele EU-LandwirtInnen können jedoch nicht so leicht auf Pestizide verzichten. Sie stecken in einem Teufelskreis fest, in dem sie Monokulturen anbauen, die von Maschinen bewirtschaftet werden, aber gleichzeitig auf mineralische Düngemittel und Pestizide angewiesen sind. Diese Abhängigkeit ist mit dem Subventionssystem der EU für Landwirte verflochten, das die Zahlungen mit der Größe der bewirtschafteten Fläche koppelt und damit Monokulturen begünstigt. Folglich spezialisieren sich die LandwirtInnen zunehmend. Das aktuelle System verringert ihre Fähigkeit, Risiken effektiv zu managen, wie zum Beispiel durch Fruchtwechsel, Zwischenfruchtanbau und eine gesunde Bodenbewirtschaftung, die entscheidend sind, um Ökosystemfunktionen aufrechtzuerhalten. Dies versetzt sie in Situationen, die besonders anfällig für Schädlingsbefall und extreme klimatische Ereignisse sind. Darüber hinaus schwächt der kontinuierliche Einsatz von Pestiziden kultivierte Pflanzen, da durch den Verlust von Synergien weniger Bodenorganismen Nährstoffe und Widerstandsfähigkeit gegen Schädlingsbefall bieten. Außerdem beseitigen Herbizide Pflanzen, die eine Futterquelle oder auch ein Lebensraum für viele Bodenorganismen sind. Sie beeinflussen außerdem den symbiotischen Nährstoffaustausch zwischen Pflanzen und Mikroorganismen im Boden25.

Die biologische Landwirtschaft bietet eine Alternative. Hier beruht der Anbau von Lebensmitteln auf Biodiversität und Synergien zwischen verschiedenen Lebensformen. In der biologischen Landwirtschaft sind synthetische Pestizide und mineralische Düngemittel nicht erlaubt. Bio-LandwirtInnen sind gesünder und erzielen zudem höhere Gewinne mit ihren Produkten und haben positive Effekte für ihr Umfeld (Schulklassen kommen zu Besuchen, mehr Arbeitsplätze, solidarische Landwirtschaften rufen zum Mitmachen auf). Aus diesem Grund zielt der Green Deal der EU darauf ab, dass ein Viertel der EU-Landwirte biologisch produziert, indem mehr Subventionen für Bio-LandwirtInnen und solche, die umstellen, bereitgestellt werden. Diese LandwirtInnen brauchen unsere Unterstützung. Mehr biologische und lokale Produkte zu kaufen, aber auch die Unterschiede zwischen konventioneller und biologischer Landwirtschaft zu diskutieren, würde allen Lebewesen zugute kommen – von aquatischen (Fluss- und Meeres-) Ökosystemen bis hin zu terrestrischen Ökosystemen (einschließlich LandwirtInnen, Verbrauchern, Vögeln, Insekten, Bodenorganismen usw.).

Global Verstrickungen rund um Pestizide

Importierte Produkte wie Avocados bringen weit mehr mit als nur das Wasser, das sie zum wachsen brauchen. Dieser kurze Exkurs soll einen Einblick in die Komplexität unseres globalen Lebensmittelmarktes geben.

Import: Pestizide wandern mit dem globalen Handel. Fast 14% der weltweiten Waren werden in die EU importiert, oft aus Ländern mit abweichender Pestizidvorschriften. Importierte Produkte wie Bananen und Soja aus Südamerika weisen oft Rückstände von Pestiziden auf. Obwohl Kontrollen für importierte Produkte vorgesehen sind, variieren Häufigkeit und Gründlichkeit dieser Überprüfungen. Zum Beispiel dürfen Okras aus Indien nur eingeführt werden, wenn spezielle Häfen niedrige Pestizidkonzentrationen bestätigen. Ebenso unterliegen 20% der amerikanischen Erdnüsse und 30 % der türkischen Kreuzkümmelsamen Kontrollen, um die Einhaltung sicherzustellen. 26

Im Bericht der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) von 2021 zur Überwachung von Pestizidrückständen in Lebensmitteln stellte sich heraus, dass Pestizidrückstände auf türkischen Grapefruits am häufigsten die akzeptablen Grenzwerte überschritten. Der Bericht enthüllte auch, dass 44% der getesteten Proben eine oder mehrere Pestizide in quantifizierbaren Konzentrationen enthielten. Die höchsten Pestizidrückstände wurden auf Rosinen unbekannter Herkunft, Paprika aus Kambodscha und türkischen Tafeltrauben gefunden27

Export: Die EU ist weltweit führend im Export chemischer Produkte28. Einige der Pestizidprodukte, die in der EU nicht mehr verwendet werden dürfen, werden dennoch produziert und dann exportiert. Ein Beispiel ist DDT. Obwohl in der EU aufgrund seiner schwerwiegenden Umweltauswirkungen verboten, wird es in Afrika immer noch als wirksames Insektizid gegen Malaria eingesetzt. Allerdings hat DDT auch in Afrika weitreichende schädliche Auswirkungen. Interessanterweise werden die meisten Pestizide in Afrika auf Felder eingesetzt, deren Kulturen exportiert werden. Dies führt dazu, dass die EU verbotene Produkte herstellt, die dann verwendet werden, um Kulturen anzubauen, die schließlich wieder in die EU importiert werden.

Obwohl es wichtig ist, den Einsatz von Pestiziden in der EU besser zu regulieren und zu dokumentieren, könnte dies auch dazu führen, dass die Lebensmittelproduktion sich weiter in Nicht-EU-Länder auslagert. Wir können nicht rechtfertigen, Umweltbelastungen auszulagern, um billige Produkte zu importieren, die auf Kosten der Umwelt im Herstellungsland produziert werden. In der EU würde dies bedeuten, den Luxus zu haben, umweltfreundlich zu produzieren und den kontaminierten Boden und das verschmutzte Wasser anderen zu überlassen.

Die Pandemie hat uns für die Bedeutung unabhängiger Lebensmittelmärkte sensibilisiert. Daher sind mehr globale Lösungen für die Regulierung von Pestiziden erforderlich, aber noch lange nicht in Reichweite. Obwohl die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) einen internationalen Verhaltenskodex für das Pestizidmanagement bereitstellt29, der Regierungen, der Pestizidindustrie, aber auch der breiten Öffentlichkeit als Leitfaden dienen soll, gibt es kein internationales bindendes Recht, das die Einhaltung kontrollieren könnte.

Europäische Vorschriften zählen

Umweltvorschriften auf europäischer Ebene haben sich als besonders erfolgreich erwiesen, wenn sie verbindlich sind – entweder unmittelbar als Verordnung gelten oder als Richtlinie in nationales Recht übersetzt werden. Ein Beispiel ist die Wasserrahmenrichtlinie (die Nitratrichtlinie), deren Nichteinhaltung mit Strafzahlungen geahnded wird. Ähnlich scheint auch für Pestizide, die beste aller Optionen eine EU-Regulation zu sein, denn nationale Verbote verhindern nicht die Herstellung von Pestizidprodukten, die auf Märkten außerhalb ihres Landes verkauft werden. Da Pestizide nicht an der Grenze stoppen, sind alle europäischen Mitgliedstaaten im selben Boot (vielleicht die Inseln etwas weniger). Doch Grenzen werden auch mit Nicht-EU-Ländern geteilt, was sich auf die EU-Agrar- und Umweltpolitik auswirkt, wie der Ukraine-Krieg zeigt. Während der EU Green Deal eine ehrgeizige Reduzierung des Pestizideinsatzes um 55% bis 2030 vorsah, wurde dieses Ziel aufgrund von Bedenken hinsichtlich der Lebensmittelsicherheit zurückgezogen (was angesichts der Auswirkungen von Pestiziden auf das (Boden-)Leben und der daraus resultierenden Degradierung der Fruchtbarkeit und Widerstandsfähigkeit des Bodens etwas ironisch erscheint).

Für Jahrzehnte hatte die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) die außergewöhnliche Zulassung verbotener Produkte durch einzelne Mitgliedstaaten in Frage gestellt. Denn Mitgliedstaaten erlaubten Landwirten in Übergangszeiten nach einem Verbot Pestizide in Ausnahmefällen weiter zu verwenden – allerdings wurden von diesen oft Gebrauch gemacht. Zum Beispiel gewährte Frankreich für den Zuckerrübenanbau drei Jahre über das Verbot hinaus eine Ausnahmegenehmigung für die kontinuierliche Anwendung von Neonicotinoiden. Der Europäische Gerichtshof hat 2023 solche Ausnahmen allerdings verboten, was auch hier die Bedeutung der EU bestätigt30.

Zur Verringerung der Pestizidmengen ruft die EU zu einem integrativen Pestizidmanagement auf, was bedeutet, dass Pestizide nicht vorbeugend und stattdessen nur gezielt nach Schädlingsbefall verwendet werden sollen. Während der Ansatz gut ist, geht dieser nicht automatisch einher mit mehr Biodiversität und weniger Monokulturen auf Feldern. Das EU-Parlament hat höhere Steuern auf als gefährlich eingestufte Pestizide gefordert, die dann als Subvention an LandwirtInnen verteilt werden könnten, die das integrierte Schädlingsmanagement anwenden31. Dieser Vorschlag folgt dem „dänischen Modell“, das bereits Steuern auf Pestizide erhebt, je nach ihren Gefahrenklassifizierung.

Während in den letzten Jahren mehr Wert auf die negativen Auswirkungen von Pestiziden auf Nichtzielorganismen gelegt wurde (eine Studie veröffentlicht von der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit), sind diese Überlegungen noch nicht in die Gesetzgebung integriert worden. Es scheint, dass mehr Druck erforderlich ist.

Was wir tun können: Lobbyarbeit für das Leben (auch das nicht sichtbare)

Die hier genannten EU-Vorschriften werden von Gesetzgebern festgelegt, wobei das EU-Parlament eine entscheidende Rolle spielt. Vom 6. bis 9. Juni haben wir die Möglichkeit, unsere Vertreter zu wählen. Umweltbedenken und Kritik an Pestiziden stoßen in der EU auf starken Widerstand von der Pestizidindustrie-Lobby. Deshalb ist es für das Wohlergehen der LandwirtInnen und für eine lebenswerte Zukunft für kommende Generationen entscheidend, dass EU-Bürger die Lobby für das Leben in all seinen Formen und Farben repräsentieren.

Es besteht die Hoffnung, dass der Green Deal noch nicht verloren ist, aber es besteht auch die anhaltende Angst, dass sich das Parlament weiter nach rechts verschieben wird. Diese Parteien sind dafür bekannt, Umweltbedenken zurückzustellen. So haben sie sich zum Beispiel gegen das EU-Naturschutzgesetz ausgesprochen32 und den Green Deal geschwächt33. Lasst uns dies verhindern, und eine Partei wählen, die die Biodiversität- und Artenschutz priorisiert!

Die EU und ihre Umweltvorschriften zählen!!! 

Wählt Biodiversität!!! 😊

References

  1. Farmers turn to tech as bees struggle to pollinate (bbc.com) ↩︎
  2. Deutsche Bahn: Ab 2023 Verzicht auf Glyphosat bei Gleispflege (wiwo.de) ↩︎
  3. Hallmann, C. A. et al. More than 75 percent decline over 27 years in total flying insect biomass in protected areas. PloS one 12, e0185809 (2017).    ↩︎
  4. Brühl, C. A. et al. Direct pesticide exposure of insects in nature conservation areas in Germany. Scientific Reports 11, 24144 (2021).   ↩︎
  5. Rundlöf, M. et al. Seed coating with a neonicotinoid insecticide negatively affects wild bees. Nature 521, 77-80 (2015).  
    Henry, M. et al. A common pesticide decreases foraging success and survival in honey bees. Science 336, 348-350 (2012). ↩︎
  6. Nicholson, C. C. et al. Pesticide use negatively affects bumble bees across European landscapes. Nature, 1-4 (2023).   ↩︎
  7. Hallmann, C. A., Foppen, R. P., Van Turnhout, C. A., De Kroon, H. & Jongejans, E. Declines in insectivorous birds are associated with high neonicotinoid concentrations. nature 511, 341-343 (2014).  
    Rigal, S. et al. Farmland practices are driving bird population decline across Europe. Proceedings of the National Academy of Sciences 120, e2216573120 (2023). ↩︎
  8. BROUWER, Maartje, et al. Environmental exposure to pesticides and the risk of Parkinson’s disease in the Netherlands. Environment international, 2017, vol. 107, p. 100-110. ↩︎
  9. SABARWAL, Akash; KUMAR, Kunal; SINGH, Rana P. Hazardous effects of chemical pesticides on human health–Cancer and other associated disorders. Environmental toxicology and pharmacology, 2018, vol. 63, p. 103-114. ↩︎
  10. Hallmann, C. A. et al. More than 75 percent decline over 27 years in total flying insect biomass in protected areas. PloS one 12, e0185809 (2017). ↩︎
  11. POTAPOWICZ, Joanna, et al. Occurrences, sources, and transport of organochlorine pesticides in the aquatic environment of Antarctica. Science of the Total Environment, 2020, vol. 735, p. 139475. ↩︎
  12. Anthony, M. A., Bender, S. F. & van der Heijden, M. G. Enumerating soil biodiversity. Proceedings of the National Academy of Sciences 120, e2304663120 (2023).   ↩︎
  13. Sim, J. X., Doolette, C. L., Vasileiadis, S., Drigo, B., Wyrsch, E. R., Djordjevic, S. P., … & Lombi, E. (2022). Pesticide effects on nitrogen cycle related microbial functions and community composition. Science of the Total Environment807, 150734.
    Sim, J. X., Drigo, B., Doolette, C. L., Vasileiadis, S., Karpouzas, D. G., & Lombi, E. (2022). Impact of twenty pesticides on soil carbon microbial functions and community composition. Chemosphere307, 135820. ↩︎
  14. QIU, Danyan, et al. Response of microbial antibiotic resistance to pesticides: An emerging health threat. Science of The Total Environment, 2022, vol. 850, p. 158057. ↩︎
  15. Pelosi, Céline, Colette Bertrand, Gaëlle Daniele, M. Coeurdassier, Pierre Benoit, Sylvie Nélieu, Florent Lafay et al. „Residues of currently used pesticides in soils and earthworms: A silent threat?.“ Agriculture, Ecosystems & Environment 305 (2021): 107167. ↩︎
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  17. Pelosi, Céline, Colette Bertrand, Gaëlle Daniele, M. Coeurdassier, Pierre Benoit, Sylvie Nélieu, Florent Lafay et al. „Residues of currently used pesticides in soils and earthworms: A silent threat?.“ Agriculture, Ecosystems & Environment 305 (2021): 107167. ↩︎
  18. UWIZEYIMANA, Herman, et al. The eco-toxic effects of pesticide and heavy metal mixtures towards earthworms in soil. Environmental toxicology and pharmacology, 2017, vol. 55, p. 20-29. ↩︎
  19. BEAUMELLE, Léa, et al. Pesticide effects on soil fauna communities—a meta‐analysis. Journal of Applied Ecology, 2023, vol. 60, no 7, p. 1239-1253. ↩︎
  20. DONLEY, Nathan. The USA lags behind other agricultural nations in banning harmful pesticides. Environmental Health, 2019, vol. 18, p. 1-12. ↩︎
  21. STORCK, Veronika; KARPOUZAS, Dimitrios G.; MARTIN-LAURENT, Fabrice. Towards a better pesticide policy for the European Union. Science of the Total Environment, 2017, vol. 575, p. 1027-1033. ↩︎
  22. https://efsa.onlinelibrary.wiley.com/doi/10.2903/j.efsa.2024.8753 ↩︎
  23. ↩︎
  24. FENNER, Kathrin, et al. Evaluating pesticide degradation in the environment: blind spots and emerging opportunities. science, 2013, vol. 341, no 6147, p. 752-758.
    STORCK, Veronika; KARPOUZAS, Dimitrios G.; MARTIN-LAURENT, Fabrice. Towards a better pesticide policy for the European Union. Science of the Total Environment, 2017, vol. 575, p. 1027-1033.
    SILVA, Vera, et al. Pesticide residues in European agricultural soils–A hidden reality unfolded. Science of the Total Environment, 2019, vol. 653, p. 1532-1545.
    BARAN, Nicole, et al. Pesticides and their metabolites in European groundwater: Comparing regulations and approaches to monitoring in France, Denmark, England and Switzerland. Science of the Total Environment, 2022, vol. 842, p. 156696.2
    BEKETOV, Mikhail A., et al. Pesticides reduce regional biodiversity of stream invertebrates. Proceedings of the National Academy of Sciences, 2013, vol. 110, no 27, p. 11039-11043.
    BRÜHL, Carsten A., et al. Terrestrial pesticide exposure of amphibians: an underestimated cause of global decline?. Scientific reports, 2013, vol. 3, no 1, p. 1135.
    WOOD, Thomas James; GOULSON, Dave. The environmental risks of neonicotinoid pesticides: a review of the evidence post 2013. Environmental Science and Pollution Research, 2017, vol. 24, p. 17285-17325. ↩︎
  25. Ruuskanen, S. et al. Ecosystem consequences of herbicides: the role of microbiome. Trends in ecology & evolution 38, 35-43 (2023). ↩︎
  26. EUROPEAN FOOD SAFETY AUTHORITY (EFSA), et al. The 2021 European Union report on pesticide residues in food. EFSA Journal, 2023, vol. 21, no 4, p. e07939. ↩︎
  27. EUROPEAN FOOD SAFETY AUTHORITY (EFSA), et al. The 2021 European Union report on pesticide residues in food. EFSA Journal, 2023, vol. 21, no 4, p. e07939. ↩︎
  28. https://ec.europa.eu/eurostat/statistics-explained/index.php?title=Production_and_international_trade_in_chemicals#EU_is_the_largest_exporter_of_chemical_products ↩︎
  29. The International Code of Conduct on Pesticide Management | Pest and Pesticide Management | Food and Agriculture Organization of the United Nations | IPM and Pesticide Risk Reduction | Food and Agriculture Organization of the United Nations (fao.org) ↩︎
  30. https://curia.europa.eu/juris/document/document.jsf?text=&docid=269405&pageIndex=0&doclang=EN&mode=req&dir=&occ=first&part=1&cid=1486798 ↩︎
  31. https://www.euractiv.com/section/agriculture-food/news/european-parliament-tax-pesticides-to-fund-integrated-pest-management/ ↩︎
  32. Right wing takes yet another stab at killing EU nature law – POLITICO ↩︎
  33. EU lawmakers debate the future of the Green Deal ahead of elections – Euractiv ↩︎

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